Buy, build, partner

Vor diesen Optionen stehen Unternehmen insbesondere dann, wenn es darum geht neue Märkte zu erschließen oder neue Produktsegmente aufzubauen. Schmerzpunkte können fehlende Expertise oder Kapazitäten sein, oder das Eingeständnis, dass es an frischen Perspektiven mangelt. Eine Partnerschaft mit einem innovativen Startup mit komplementärer Lösung kann eine attraktive Alternative zu Kauf oder Eigenentwicklung sein.

Als Hardware-Anbieter hatte mein Arbeitgeber sein Geschäft über Jahrzehnte perfektioniert. Das Thema Software blieb jedoch, trotz wachsender Relevanz, lange ein Fremdkörper. Es war oft nur “nettes” Beiwerk. Eigenständige Lösungen wurden bestenfalls als wertstiftende Zusatzfunktionen des Hauptproduktes gesehen, ohne wirklichen Plan zur Monetarisierung. Dedizierte Produktmanager, die Interesse an einem kommerziellen Erfolg der Lösungen hatten, gab es nicht oder sie waren schlicht zu beschäftigt mit ihren Hauptprodukten. Ich war keine Ausnahme. In Folge hatte das Thema Innovation und Produktvision für Softwarelösungen wenig Fokus. Bestenfalls waren diese Lösungen Randthemen in quartalsweise stattfindenden Strategiemeetings.

Warum sollte man Partnerschaften eingehen?

Ein dediziertes Team für ein Thema aufzubauen ist teuer, langwierig und riskant. Inhouse Innovationsteams scheitern teilweise daran, wirklich eigenständig und ohne politische Abhängigkeiten zu agieren. Mangelnde Akzeptanz oder schlicht Neid der Kollegen aus dem Kerngeschäft schaffen zusätzliche Widerstände.

Für die direkte Beteiligung an Startups fehlen Mittel und Expertise. Der gemeinsame Business Case ist zu wackelig, um eine große Investition zu rechtfertigen. Möglicherweise ist auch die „strategische Passung“ zu Anfang noch nicht eindeutig und Entscheidungswege sind zu lang. Größere Unternehmen tun sich zudem häufig schwer damit, riskante Wetten einzugehen, die einen langen Atem über die üblichen Quartals- oder Jahresplanungszyklen hinaus erfordern.

Partnerschaftsmodelle zwischen etablierten Unternehmen und einem unabhängigen Startup können hier eine interessante Alternative darstellen und bieten viele Vorteile für beide Seiten.

Vorteile für das etablierte Unternehmen

  • Erschließung neuer Technologien und neuer Kundensegmente
  • Synergien im Produktportfolio
  • Gesamtlösung für den Kunden
  • Innovation durch ein hungriges, fokussiertes Team das eine spannende Vision verfolgt
  • Startups agieren schneller und unterliegen nicht den Zwängen langwieriger Entscheidungsprozesse
  • Neue Arbeitsweise und Methoden
  • Zusätzliche Expertise und Kapazitäten (Innovation, Produktentwicklung,)
  • Frische Perspektiven
  • Eine spannende Story für die Vermarktung der existierenden Produkte
  • Reduktion und Outsourcing von Risiken
  • Finanzieller Return on Invest

Vorteile für das Startup

  • Zugang zu Kunden und größere Reichweite/Internationalisierung
  • Gewinnung des etablierten Unternehmens als Kunde/Investor
  • Reduktion des eigenen Risikos
  • Zusätzliche finanzielle Investitionsmittel im Rahmen der Partnerschaft
  • Zusätzliche Expertise und Kapazitäten (Marketing, Sales, Legal & Compliance…)
  • Positive Signale an die Branche und Investoren
  • Professionalität, Knowhow und Struktur eines etablierten Unternehmens

Was sind die Herausforderungen?

Es ist wichtig Stakeholder frühzeitig mit auf den Weg zu nehmen. Sie sollten von der Vision der Zusammenarbeit überzeugt werden und frühzeitig die Möglichkeit erhalten sich einzubringen und etwaige Herausforderungen und Risiken aufzuzeigen. Dazu sollte man sich zuerst einmal Klarheit verschaffen welche Akteure relevant für den Erfolg des Projektes sein werden. Typischerweise sind dies die Geschäftsführung, Vertrieb und Marketing, die Rechtsabteilung sowie die eigene Produktentwicklung. Auch den Bereich Quality und Customer Support sollte man dabei nicht vergessen. Externe Produkte bergen zusätzliche Risiken und eine schlechte Qualität kann das eigene Markenimage beschädigen.

Eine besondere Herausforderung ist es, wenn diese Art von Partnerschaften nicht strategisch geplant wird, sondern auf operativer Ebene zufällig zustande kommt, beispielsweise über den  Vertrieb, das Business Development oder das Produktmanagement. Es gilt dann Überzeugungsarbeit in der Führungsebene zu leisten. Der “not invented here” Effekt erfordert Durchhaltevermögen und Überzeugungskraft.

In dieser Konstellation treffen unterschiedliche Kulturen aufeinander. Etablierte Unternehmen haben oft langsame Prozesse und sind risikoavers, während Startups schon mal chaotisch und hemdsärmelig agieren. Hier gilt es Offenheit und Empathie walten zu lassen, sowie insbesondere in größeren Organisationen gutes Stakeholder Management zu betreiben.

Worauf sollte man achten?

Zunächst ist es wichtig, dass es klare und möglichst quantifizierbare Vorteile für beide Seiten gibt. Die externe Lösung sollte eine gute Ergänzung des existierenden Portfolios darstellen und im Idealfall mit dem Kernprodukt eine Komplettlösung für den Kunden erzeugen. Es gilt also einen gemeinsamen Product/Market fit zu finden und eine gemeinsame Vision zu entwickeln.

Ist der erste Schritt getan, gilt es Verbindlichkeit zu schaffen. Nur wie stellt man das an? Die Antwort lautet: skin in the game. Neben einer gemeinsamen Vision sollte es auch für beide um etwas gehen. Risiken sollten fair aufgeteilt werden. Auch wenn die Chancen und die Möglichkeiten der Weiterentwicklung im Vordergrund stehen sollten, schadet es nicht, wenn beide etwas zu verlieren haben.

Drittens sollten die gemeinsamen Ziele im Vorfeld abgestimmt werden, und dazu partnerschaftsspezifische KPIs definiert und kontinuierlich überwacht werden. Diese unterscheiden sich aller Wahrscheinlichkeit nach von den typischen Metriken etablierter Unternehmen. Neben verzögerten Kennzahlen wie Umsatz und Verkäufe sollten darin vor allem führende Indikatoren wie qualitatives Kundenfeedback, Anzahl neuer Leads etc. berücksichtigt werden. Eine regelmäßige Abstimmung und Überprüfung des Fortschritts mit Blick auf das gemeinsame Ziel sind der Schlüssel. Dabei helfen Meilensteine und abgestimmte Zeitpläne. Empfehlenswert ist die Definition gemeinsamer OKRs (Objectives and Key Results) mit dem dazugehörigen iterativen Zyklus.

Wie gestalte ich die Zusammenarbeit?

Trotz Größenunterschiede ist es wichtig auf Augenhöhe zu agieren. Beide Seiten bringen unterschiedliche Stärken in die Partnerschaft ein, die gegenseitig Wertschätzung erfahren sollten. Ähnlich wie auf einer Expedition in neues Territorium, begibt man sich gemeinsam auf eine Reise ins Unbekannte. Vertrauen ist eine wichtige Basis, den Weg gemeinsam zu beschreiten. Auch Partnerschaften zwischen Unternehmen hängen am Ende des Tages an der Beziehung zwischen den menschlichen Akteuren beider Seiten. Daher sollte man Vertrauen von Anfang an aktiv aufzubauen und pflegen. Transparenz, hinsichtlich der eigenen Beweggründe, Erwartungen, eigenen Unzulänglichkeiten und Entscheidungsprozessen hilft, die Beziehung weiter zu festigen. Es ist empfehlenswert, von Beginn an einen individuellen Rahmen für den regelmäßigen Austausch und die Gestaltung der Zusammenarbeit zu definieren. Scrum kann hier einen guten Rahmen liefern. Die Scrum Werte Fokus, Mut, Offenheit, Respekt und Verbindlichkeit sind auch in der Zusammenarbeit über Unternehmensgrenzen hinweg tragende Säulen. Empfehlenswert ist es, von Anfang an in funktionsübergreifenden Teams zu agieren und Funktionen wie Marketing und Vertrieb, die Finanzabteilung, den Kundensupport, etc. einzubinden.

Wie schaffe ich einen rechtlichen Rahmen?

Ein schwieriges und oft langwieriges Unterfangen. Ist die Vision sowie der inhaltliche und operative Rahmen definiert, gilt es diesen zu verschriftlichen. Um diesen Prozess zu beschleunigen, macht es Sinn, ihn in Etappen zu arbeiten. Beispielsweise mit einem “Letter of Intent (LOI)” oder einem “Memorandum of understanding (MOU)”, in denen die ersten Ziele und Rahmenbedingungen fixiert werden, ohne dass darin bereits größere finanziellen Verbindlichkeiten geschaffen werden. Schritt Zwei könnte ein einfacher Vertrag zu einem Pilotprojekt oder MVP sein, bevor dann der längerfristige Rahmen in einem finalen Kooperationsvertrag definiert wird. Aus meiner Erfahrung sollte man neben den Entscheidern auch möglichst frühzeitig die Rechtsabteilung einbinden. So können etwaige rechtliche Fallstricke gleich am Anfang identifiziert und wichtige Fragen eingangs geklärt werden.

Wie findet man passende Startups?

Große Unternehmen haben hier oft dedizierte Programme. Bei kleineren und mittelständischen Unternehmen sind es oft die Startups, die den Kontakt suchen oder zufällige Begegnungen im Rahmen von Messen oder Konferenzen. Wer aktiv nach interessanten Startups suchen, möchte findet neben LinkedIn diverse dedizierte Plattformen, auf denen sich Startups und interessante neue Produkte und Technologien finden. Die Beobachtung des eigenen Markt- und Wettbewerbsumfelds gehört zu Kernaufgabe eines Produktmanagers. Die Identifikation neuer Unternehmen, Technologien und Produkte sollte daher nicht allzu schwerfallen. Ob man zusammenpasst, lässt sich recht schnell durch erste unverbindliche Gespräche ausloten.

Fazit

Partnerschaften können eine interessante und kostengünstige Alternative zur Eigenentwicklung darstellen. Etablierte Unternehmen erhalten Zugang zu neuen Technologien und Kundensegmenten, während Startups von der Reichweite und Expertise profitieren. Eine klare Zielsetzung, Transparenz und Vertrauen sind entscheidend für den Erfolg der Zusammenarbeit. Es gilt, gemeinsame Ziele zu definieren, partnerschaftsspezifische Kennzahlen festzulegen und regelmäßige Abstimmungen durchzuführen. Dabei müssen unterschiedliche Unternehmenskulturen berücksichtigt und ein offenes und empathisches Arbeitsumfeld geschaffen werden. Durch die Nutzung der Stärken beider Seiten entsteht eine dynamische Partnerschaft, die Innovation, Wachstum und neue Marktchancen ermöglicht.